Dienstag, 20. September 2016

Totgesagte leben länger: der Widerrufsjoker

Mitte Juni dieses Jahres war die Aufregung groß, der Widerrufsjoker wurde für tot erklärt: ein Widerruf von Darlehen (juristisch korrekt: der Widerruf der zum Vertragsschluss führenden Willenserklärung des Kunden) sei nur noch bis zum 21.06.2016 möglich. Aber Totgesagte leben länger - jedenfalls in Teilen .

Darlehensverträge , Abschlussdatum 02.11.2002 bis 10.06.2010

Diese Verträge sind tatsächlich nicht mehr widerrufbar.
Wenn diese jedoch vor den 21.06.2016 widerrufen wurden, die Bank aber den Widerruf zurück gewiesen hat und wegen der sehr zersplitterten Rechtsprechung keine weiteren Schritte unternommen wurden, lohnt es sich vielleicht doch, noch einen Blick darauf zu werfen. Etliche Streitfragen sind zwischenzeitlich vom BGH geklärt.

Deutlichstes Beispiel: in vielen Verträgen findet sich eine Fußnote "Bitte Frist im Einzelfall" prüfen in Verbindung mit der "frühestens-Formulierung" . Im Juli 2016 hat der BGH entschieden, dass eine solche Belehrung fehlerhaft ist und die Frist nicht in Gang setzt. Auch eine Verwirkung oder ein Rechtsmissbrauch (ein seeeehr bliebtes Argument der Banken) liegt im Regelfall nicht vor.

Darlehensverträge , Abschlussdatum 11.06.2016 bis 20.03.2016

Für diesen Zeitraum gilt die Wohnimmobilienkreditrichtlinie ausdrücklich nicht, hier besteht bei fehlerhafte Belehrung das "ewige Widerrufsrecht".

Bisher hieß es immer in diesem Zeitraum seien die Belehrungen richtig, so dass die Widerrufsfrist abgelaufen sei.

Jetzt stellen jedoch die ersten OLG fest, dass dies eben nicht der Fall ist. So hat das OLG Nürnberg    ( 14 U 1780/15) gerade entschieden:

"Die dem Verbraucher mitgeteilte Information, die Frist beginne nach Abschluss des Vertrags, aber erst nach Erhalt aller Pflichtangaben nach § 492 II BGB, ermöglicht es dem Verbraucher nicht, den Fristbeginn verlässlich und mit zumutbarem Zeitaufwand zu ermitteln. Denn ihm wird – von den beispielhaft genannten drei Pflichtangaben abgesehen – nicht aufgezeigt, wie viele und welche Pflichtangaben auf seinen konkreten Vertrag bezogen existieren und welche weiteren Pflichtangaben er ggf. noch erhalten muss. Damit ist nicht klar, wann die Frist zum Widerruf beginnt. Insofern liegt (entgegen LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 25.02.2016 – 6 O 6071/15, juris Rn. 57) eine der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 10.02.2015 – II ZR 163/14, juris Rn. 14; Urteil vom 15.08.2012 – VIII ZR 378/11, juris Rn. 9; Urteil vom 01.12.2010 – VIII ZR 82/10, juris Rn. 12), wonach die Formulierung „frühestens mit Erhalt dieser Belehrung“ den Verbraucher über den Fristbeginn nicht richtig belehre, vergleichbare Situation vor.“

Vor einiger Zeit schon hat das OLG München die Auffassung vertreten, dass die Belehrung fehlerhaft sei, wenn bei den Pflichtangaben die "zuständige Aufsichtsbehörde" genannt werde. Diese gehört bei Baufinanzierungen nämlich in aller Regel nicht zu den Pflichtangaben.

Für Darlehensverträge, die im obigen Zeitraum geschossen wurden, kann eine Überprüfung der Belehrung also durchaus Sinn machen.

Darlehensverträge , Abschlussdatum seit dem 21.03.2016

Hier ist das Widerrufsrecht per Gesetz auf maximal ein Jahr und 14 Tage begrenzt. Egal, wie haarsträubend falsch die Belehrung auch gewesen sein mag. Ist allerdings gar nicht belehrt worden, ist die Willenserklärung noch widerrufbar. Das dürfte allerdings nur in seltenen Fällen geschehen sein.

Man sieht,  der Widerrufsjoker ist ein quicklebendiges Exemplar der juristischen Wundertiere, auch wenn er zahlenmäßig zurück gegangen ist.